Hallå hallå im Dienste des öffentlichen Intresses

Es besteht kein Mangel an Anekdoten, sobald es um historische Medienereignisse geht. „Hallå hallå Stockholms rundradio” lautete der Anfangsruf am 1. Januar 1925, als Sveriges Radio seinen Betrieb aufnahm. Das Schwedische Radio (Sveriges Radio) war geboren. Und mit dieser Gründung vor 100 Jahren wurde gleichzeitig der Grundstein für eine öffentlich-rechtliche Berichterstattung gelegt.

Heute sind Sveriges Radio AB, Sveriges Television AB (SVT) und der Bildungssender Sveriges Utbildningsradio AB (UR) die drei schwedischen Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Medien „im Dienste der Allgemeinheit“. Ähnlich wie ARD, ZDF und D-Radio in Deutschland unterliegen sie einem klar definierten Auftrag, der in seinen Grundzügen staatlich festgelegt ist und auf die Bereitstellung einer umfassenden Grundversorgung sowie eines vielfältigen Programms abzielt. Die Grundlagen der öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland und Schweden haben einen ähnlichen Auftrag, in der Umsetzung lassen sich jedoch durchaus einige Unterschiede benennen.

Auftrag Demokratie

Wie in den meisten Ländern mit einem System der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung gibt es eine Gesetzesgrundlage, die das Ziel größtmöglicher politischer und kommerzieller Unabhängigkeit verfolgt und auf dem demokratischen Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit basiert. In Deutschland hatte es zwar Ende der 1920er-Jahre erste Bestrebungen zu unabhängigem Radio gegeben, tatsächlich fand die Gründung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks jedoch erst 20 Jahre später nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Alliierten im Rahmen der Demokratisierung statt.

Es geht also um nichts Geringeres als demokratische Grundwerte. In einer Stellungnahme zu den öffentlich-rechtlichen Medien benennt die schwedische Regierung freie und eigenständige Medien als Voraussetzung für eine Vielfalt in der Informationsvermittlung und Meinungsbildung und hebt hierdurch die große Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft hervor.

Dies spiegelt sich im Auftrag beider Länder wider: Unabhängigkeit, Vielfalt, Information, Bildung und Unterhaltung, Kulturelle Förderung (Sprache und Kultur des jeweiligen Landes betreffend) und nicht zuletzt Zugänglichkeit und Qualität.

 

Unabhängig?

Doch wie genau wird versucht, diese Unabhängigkeit umzusetzen? Wenn es sich bei den öffentlich-rechtlichen Medien um ein staatliches Interesse handelt, wo genau ist dann der Unterschied zwischen ARD/SVT und den Medien Donald Trumps? Vielleicht ist dies genau das Spannungsverhältnis, in dem sich die öffentlich-rechtlichen Medien bewegen: Der Staat schreibt ihnen gesetzlich vor, sich seinen Organen gegenüber kritisch zu verhalten. Wenn beispielsweise durch staatlichen Unwillen diese Kritikfähigkeit wegbricht, ist die Meinungs- und Pressefreiheit nicht mehr gegeben und die Demokratie in Gefahr. Und vielleicht ist „unabhängig“ vor allem im Sinne von „unparteiisch“ zu verstehen. Kein Medium bewegt sich schließlich im luftleeren Raum.

 

Struktur und Finanzierung

Es gibt einige Unterschiede in diesem Bestreben nach Unabhängigkeit, wenn man sich die Struktur und die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen in Schweden und Deutschland ansieht. Der größte Unterschied ist wahrscheinlich, dass in Deutschland den Sendern in gewissen Grenzen die Ausstrahlung von Werbung erlaubt ist, in Schweden hingegen sämtliche Programme werbefrei sind.

Die deutsche Finanzierung geschieht im sogenannten ”dualen Modell”, d.h. abgesehen von der Grundfinanzierung über den Rundfunkbeitrag, den jeder Haushalt bezahlt, wird ein Teil der Finanzierung über Werbung erzielt. In Schweden allerdings ist den öffentlich-rechtlichen Sendern Werbung verboten. Aufgrund der Werbefreiheit finanzieren sich die Programme über einen Rundfunkbeitrag, der sich seit 2019 dem jeweiligen Einkommen anpasst und mit der Steuer erhoben wird. Die Organisation des Rundfunkbeitrags als Steuer ist in Deutschland mit dem Argument größerer politischer Unabhängigkeit abgelehnt worden. Angepasst wurde jedoch, dass die Gebühr pro Haushalt und nicht mehr pro Gerät erhoben wird.

 

Wer schaut was? Streaming, Unterhaltung und neue Formate in Deutschland und Schweden

Der Konsumanteil öffentlich-rechtlicher Medien und ihr Stellenwert in der Gesellschaft sind in Deutschland und Schweden hoch, in Schweden liegt er bei 80-90 %. Dennoch lässt sich eine gewisse Alterungsstruktur kaum verleugnen; gerade Jugendliche und junge Erwachsene widmen sich verstärkt Sozialen Medien oder Streaming-Angeboten. Auf letzteres reagieren die Öffentlich-Rechtlichen mit jeweils eigenen Streaming-Plattformen; die ARD-Mediathek und SVT Play als Hauptbeispiele.

SVT Play bedient alle erdenklichen Bereiche: Wissen, Serien, Unterhaltung. Mit 26 % haben Programme für Kinder und Jugendliche den größten Anteil. Über den Schwerpunkt der täglichen Nachrichten hinaus ist das Unterhaltungssegment sehr ausgeprägt und weithin beliebt. Dass hierbei anderssprachige Formate nur für jüngere ZuschauerInnen ins Schwedische synchronisiert werden, ist ein ganz erheblicher praktischer Unterschied zu Deutschland, wo nahezu alles auch in deutscher Sprache verfügbar ist.

Gigant der schwedischen Unterhaltungskultur sind jedoch Musik- und Singformate. Das lang etablierte „Allsång på Skansen“ hat Gesellschaft vom Format „Melodifestivalen“ bekommen, bei dem die schwedische Vorbereitung auf den Eurovision Song Contest von einem Millionenpublikum verfolgt wird. Die Prozentsätze Zuschauender gleichen denen einer Fußball-WM in Deutschland. Lustige Informations- und Nachrichtenvermittlungsformate wie „ZDF Magazin Royal“, die „Heute Show“ oder „Extra 3“, die in Deutschland boomen, finden sich eher vereinzelt in Schweden.

 

Öffentliches Interesse – Die Medien im Wandel der Zeit

Die Gesellschaft wandelt sich und mit ihr die Relevanz und die Zugänglichkeit. 1929 begann man im Schwedischen Radio mit Morgengymnastik. 1937 ereignete sich eine Empörungswelle nach damaligen Maßstäben, weil eine Frau im Radio die Nachrichten verlesen hatte. Heute kämpfen journalistisch recherchierte und geprüfte Nachrichten gegen ganz andere Formen von Falsch- und Desinformation und die entsprechenden Shitstorms an. Es war vielleicht noch nie so leicht, eine Nachricht in die ganze Welt zu verbreiten – und so schwer, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

 

Von Janina Reinsbach

Nach oben