Mittelstand – Die Größe der Kleineren

Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa bildet der Mittelstand das Rückgrat der Wirtschaft. Legt man die Definition der EU-Kommission zugrunde, gehören so gut wie alle Unternehmen in der EU zum Mittelstand: 99,8 % aller Unternehmen fallen in die Kategorie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) mit bis zu 249 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von bis zu 50 Millionen Euro.

Doch was so homogen klingt, gestaltet sich bei näherem Hinsehen sehr unterschiedlich. Denn wenn man nicht einfach alle Nicht-Konzerne subsummiert, sondern die Zahlen differenziert betrachtet, zeigen sich in der EU signifikante Unterschiede – gerade auch zwischen Deutschland und Schweden.

Vor allem gibt es in Deutschland im Verhältnis deutlich mehr größere KMU als in Schweden und im Rest der Europäischen Union. Im EU-Durchschnitt gehören die überwältigende Mehrheit von 93 Prozent zu den Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern. Sechs Prozent sind Kleinunternehmen mit 10-49 Angestellten und nur ein Prozent hat über 50 Mitarbeiter. In Deutschland dagegen sind diese Werte mehr als doppelt so hoch.

Und genau das macht einen entscheidenden Unterschied. Die Zahl der Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten liegt in Schweden bei unter 8.500, in Deutschland bei über 90.000.

Viele größere Mittelständler – das hat auch einen unmittelbaren Einfluss auf den Export. Große Mittelständler sind oftmals exportorientierter, da sie die finanziellen Möglichkeiten und das erforderliche Know-how besitzen, um ausländische Märkte zu erschließen. Über die Hälfte der mittelständischen Unternehmen ab 50 Bediensteten exportieren, die mittelgroßen Mittelständler sind ebenfalls zu mehr als einem Drittel Exportunternehmen. Im Vergleich arbeiten 21 Prozent der Kleinstunternehmen exportorientiert.

Größere KMU sind zudem innovativer als ihre kleineren Mitbewerber, weil sie eher über die notwendigen Ressourcen verfügen, um in Forschung und Entwicklung zu investieren. Wobei manchmal gerade die ganz kleinen und flexiblen Unternehmen für überraschende Innovationen sorgen. Dafür gibt es gerade in Schweden viele faszinierende Beispiele. Dafür muss man nicht nur die global erfolgreichen Beispiele Spotify oder Klarna heranziehen. Auch Mittelständler wie Parkster sind aus einer innovativen Idee geboren und dann systematisch entwickelt worden.

 

Mid Caps: Zwischenwelten von Belang

Neben den klassischen KMU mit bis zum 249 Beschäftigten gibt es in Deutschland zudem viele größere Mittelständler mit etwa 500 bis 3.000 Beschäftigten – die so genannten Mid Caps. Diese fallen zwar nicht unter die KMU-Definition der EU-Kommission, gehören in einem weiteren Verständnis aber auch zum Mittelstand, da sie nicht die klassischen Konzernstrukturen von Großunternehmen aufweisen, sondern oftmals familien- oder inhabergeführt sind. Mid Caps schaffen viele sichere Arbeitsplätze, weisen einen hohen Internationalisierungsgrad auf und sind oft besonders innovativ. In Deutschland gibt es etwa 14.000 Mid Caps, die meisten davon im Maschinenbau und der Metall- und Elektroindustrie. Diese Vielzahl großer Mittelständler ist ein Alleinstellungsmerkmal und wesentlicher Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft.

Doch auch für die schwedische Wirtschaft spielen Mid Caps eine wichtige Rolle, insbesondere im industriellen Bereich, bei digitaler Infrastruktur, Energie, nachhaltiger Verpackung und Gesundheit. Die schwedischen Mid Caps sind aber eher geneigt, an die Börse zu gehen als ihre deutschen Kollegen. Schweden profitiere mit Wasserstoff- und Windenergie-Aktien stark vom Thema Nachhaltigkeit, das auch in Fonds eine wesentliche Rolle spiele, sagt der Skandinavien-Börsenexperte Florian Romacker: „Besonders interessant sind Wachstumsunternehmen mit einer herausragenden Marktstellung in einer Nische wie zum Beispiel die Hexagon-Composites-Tochter Hexagon Purus, der Weltmarktführer für Wasserstoffbehälter aus Stockholm. Im Unterschied zu Deutschland gehen viele mittelständische Unternehmen, die in solchen Nischen stark sind, in Skandinavien an die Börse.“ In Deutschland hingegen sind die Worte Mittelstand und Familienunternehmen untrennbar miteinander verbunden, denn die überwiegende Mehrheit der kleinen und mittleren Betriebe ist familiengeführt. Eigentum und Leitung liegen im Mittelstand oft in einer Hand. Familiengeführte Unternehmen stehen im besonderen Maße für verantwortungsvolles Unternehmertum. Sie haben eine enge Bindung zu ihren Beschäftigten und setzten auf Kontinuität und Nachhaltigkeit statt auf schnelle Gewinne.

 

Ausgewogene Branchenstruktur: Nische als Stärke

Vom klassischen Handwerksunternehmen über den Einzelhändler bis hin zum familiengeführten Industrieunternehmen: Der deutsche Mittelstand wird auch durch seine ausgewogene Branchenstruktur gestärkt.  Diese Vielfalt wirkt sich positiv auf die Resilienz des Mittelstands aus: sind einzelne Wirtschaftssektoren von externen Schocks betroffen, können andere Branchen die Auswirkungen abfedern. Die diversifizierte Branchenaufteilung des deutschen Mittelstands hat sich bereits in mehreren Krisen bewährt. Viele Mittelständler haben sich auf ein bestimmtes Marktsegment spezialisiert und sich dort zu einem führenden Anbieter entwickelt. Der Vorteil dieser Spezialisierung: Die produzierten Nischenprodukte sind komplex, qualitativ hochwertig und individuell auf Kundenwünsche abgestimmt. Eine einzigartige Mischung, die die Produkte besonders gefragt und zugleich schwer kopierbar macht.

Solche erfolgreichen spezialisierten Mittelständler finden sich natürlich auch in Schweden – und ihre Tochtergesellschaften dann auch in den Reihen der Schwedischen Handelskammer. Namen wie Benders, Fumex, Kongamek oder Parkster stehen für Spezialisten mit einem scharfen Angebotsprofil.

Ausdruck der Spezialisierung und Innovationskraft des deutschen Mittelstands ist auch die große Zahl an Unternehmen, die in ihrem Segment Weltmarktführer sind. Es ist schon beeindruckend: Weltweit kommen mehr als die Hälfte der sogenannten hidden champions aus Deutschland.  Die „heimlichen“ kommen oft aus dem Maschinenbau oder der Automobilzulieferung und bedienen überwiegend Geschäftskunden aus der Industrie, weshalb sie vielen Endverbrauchern nicht bekannt sind.

 

Ökonomisches Umfeld

Doch Deutschlands Mittelständler sind für ihren Erfolg nicht ganz allein verantwortlich. Seit langem profitieren sie von einer starken Binnennachfrage, der Existenz vieler Cluster, einer guten Infrastruktur und dem Angebot an qualifizierten Fachkräften. Die Stärke des schwedischen Mittelstands dagegen ist vor allem die Digitalisierung. Schweden hat europaweit den höchsten Anteil and digitalisierten KMU und mehr als zwei Drittel nutzen Clouddienste. Schon zehn Prozent der Mittelständler in Schweden nutzen Künstliche Intelligenz und ein Fünftel analysiert Big Data für seine Geschäftsprozesse. Auch wenn es um das Verkaufen online geht, führt Schweden in der EU: die kleinen und mittleren Unternehmen machen 19 Prozent des Gesamtumsatz des schwedischen E-Commerce aus.

Ein wichtiger Standortvorteil Deutschlands ist die Vielzahl bestehender Cluster-Strukturen. Unter Clustern versteht man gebündelte Zulieferer-Abnehmer Strukturen, also die geografische Konzentration miteinander verbundener Unternehmen derselben Branche. Die Vorteile solcher Cluster liegen auf der Hand: sie zeichnen sich durch eine große Nähe zu Zulieferern, Abnehmern und Forschungseinrichtungen aus und weisen die notwendige Infrastruktur auf, die von allen Unternehmen des Clusters genutzt und erhalten wird. Auch Forschungskooperationen und der Austausch von Know-how können in diesem Netzwerk vereinfacht stattfinden. Deutschland verfügt im europäischen Vergleich über besonders viele Cluster-Strukturen. In der EU führende Cluster gibt es beispielsweise im Bereich Automotive (Stuttgart und Oberbayern), Biopharmazie (Freiburg, Berlin, Darmstadt), Logistik (Ruhrgebiet) oder Luftfahrt (Hamburg). Für schwedische Unternehmen, die sich auf dem deutschen Markt etablieren wollen, kann es relevant sein, sich bei der Standortplanung über solche Clusterstrukturen zu informieren. Die Seite clusterplattform.de bietet einen Überblick.

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